Dieser Schmerz gehört nicht mir!

Eines Nachts wachte ich auf.

Ein dumpfes Poltern im Flur.

Verschwommene Erinnerungen

tragen starre Bilder -

die erzählen.

Bilder, die mein Körper erinnert.


 

Stumpf stand ich vor der Tür,

bevor ich sie öffnete.

Flimmerndes Licht blendet mich.

Meine Blicke fassen nur Sekunden.


 

Ich sehe dich –

mit gläsernen Augen

in die Leere.

Dein Körper ermattet,

zu müde, um noch etwas zu halten.

Tabletten haben dich leiser gemacht.

Weit weg von dir.


 

Ich sehe dich.

Und ich sehe dich.

Am anderen Ende des Raums.

Deine unruhigen Arme stützen dich,

deine Beine tragen nicht mehr.

Dein Körper: schwer vom Alkohol.

Weit weg von dir.


 

Ihr beide: verloren.

Ich in eurem Abbild.


 

Mein Herzschlag pocht.

Ich werde wach.

Beginne zu verstehen.

Zu trösten.

Zu halten.

Noch bevor ich begreife.


 

Ich übernehme.

Erfülle,

wie ich es kenne.

Tue das, was ihr nicht könnt.


 

Spüre euren Schmerz.

Nackt. Roh. Ungehalten.

Und nehme ihn in mich auf.

Fließend. Instinktiv. Ganz.


 

Ein Bild in mir,

das nicht weicht.

Wiederkehrend. Drückend.

Eine aufplatzende Fülle,

und doch halte ich sie –

ohne zu wissen,

was in ihr ist.


 

Und dann spüre ich es:

ein kraftvolles Nein.

Eine Verzweiflung,

die nicht mehr schweigen will.

Eine Wut,

die Worte findet.

Die fühlt:


 

Ich will nicht mehr.

Nicht mehr geben.

Still sein.

Nicht mehr halten.


 

Ich bin nicht länger deine Energiequelle,

die deine Lücken speist.

Ich reiche dir nichts mehr.


 

Ich bin nicht länger dein Mülleimer,

in den du deinen Abfall wirfst.

Ich schlucke nicht mehr.


 

Es ist nicht meins.

Das gehört nicht mir.


 

Ich werfe Stein für Stein –

wuchtig, kraftvoll.

Ich gebe dir zurück:


 

Deine aufbrausende Aggression,

die ich mir einverleibt habe.

Deine tobende Wut,

die in mir gespeichert ist.

Deine Wucht,

die in mich hineingeschlagen hat.


 

Ich gebe dir zurück:

dein Wimmern auf den Lippen,

dein Flehen in den Augen,

deine Hilflosigkeit in deinem ganzen Sein.


 

Es ist nicht mein Unglück.

Nicht meine Angst.

Nicht meine Kränkung.

Nicht meine Suche.


 

Ich laufe.

Stoße Steine mit den Füßen weg.

Spiele Fußball.

Hebe Brocken hoch –

halb verbuddelt –

und schleudere sie fort.


 

Ich gebe dir alles zurück,

was du an mir ausgelassen hast.

Gebe dir zurück,

was dir gehört.


 

Alles,

was du mir zeigen wolltest –

was ich sehen und erlösen sollte.


 

Ich muss nicht essen,

was du nicht schlucken konntest.

Nicht mehr abstoßen,

was du nicht haben wolltest.


 

Ich bin nicht länger der Mensch,

der deine Tränen weint,

die du nicht trocknen kannst.


 

Nicht länger der Mensch,

der deine Angst fühlt,

die du nicht lesen kannst.


 

Nicht länger der Mensch,

der deine Wut hält,

die du nicht in deinem Körper tragen kannst.


 

Ich gebe zurück,

was nicht meins ist.

Der Schmerz gehört nicht mir!


 

Ich sage es.

Immer wieder.

Laut.


 

Ich fühle es.

Immer wieder.

Deutlich.


 

Meine ausgestreckte Geborgenheit -

durch mich erfahren.

Meine gedehnte Zuwendung - 

die euch getröstet.

Meine stillende Sicherheit - 

die euch getragen.

Mein feines Gespür –

für das, was ihr brauchtet.

Aussaugend. Ermattet.


 

Ich gab all das

im Verzicht.

Auf meine Wahrnehmung.

Meine Autonomie.

im Verzicht auf mein Ich.


 

Dieser Schmerz gehört nicht mir!


 

Und jetzt spüre ich:

eine Grenze in mir.


 

Haltend. Fest.

Ich spüre, dass sie da ist.


 

Ich finde keine Schuld.

Keine Scham.


 

Ich finde meinen Raum.

Geweitet und leer.

Atmend.

Ich finde:

mich.


 


 

Traumaintegration 

Wenn der Schmerz der anderen im eigenen Körper wohnt - Bindungstrauma verstehen

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